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Englisch in Berlin (Deutsche Version)

Englisch in Berlin (Deutsche Version)

Surprise Subscription #28


 

Im Jahr 2021 hielten Künstlerin, Forscherin und Kuratorin Moshtari Hilal und politische*r Geograf*in Sinthujan Varatharajah einen Vortrag auf Instagram Live, in dem sie über die Ausbreitung der englischen Sprache in Berlin diskutierten. Ob in Cafés oder Restaurants, Museen und Kunsträumen, auf der Straße oder im Bürgeramt, die englische Sprache ist überall präsent – auch in unseren eigenen Newslettern, Rezensionen und sozialen Medien! Es ist einfach eines dieser Dinge, die Berlin seinen kosmopolitischen Glanz verleihen. 

Aber es gibt auch eine Kehrseite der Dinge, und die bringen Hilal und Varatharajah in ihrem Vortrag ans Licht, welcher von Wirklichkeit Books in diesem strahlend blauen Reader in eine physische Form gebracht wurde. 

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Englisch ist international, scheinbar universell – aber wen schließen wir aus, wenn wir uns entschließen, auf Englisch zu sprechen und zu schreiben? Wer wird dadurch im Stillen ausgeladen? Ist der Gebrauch des Englischen für Menschen, deren Sprachen und Stimmen im Westen immer wieder an den Rand gedrängt werden, noch eine weitere Barriere zwischen ihnen und der vollen Teilhabe an den Gesellschaften und Volkswirtschaften, die sie so oft mit ihrer Arbeit mittragen?  

Für diese Ausgabe des Surprise-Abonnements sprachen wir mit Moshtari und Sinthujan über den Prozess, ihr Gespräch in ein Buch zu überführen und darüber, wie die Unterhaltung weitergeht…

 


 

 

Also, als Erstes: Danke, dass ihr euch die Zeit genommen habt, mit uns über das Buch zu sprechen! Es gefällt uns sehr und wir finden, es ist eine tolle Ergänzung für unser Surprise-Abo. Wir dachten, wir könnten zuerst über den Prozess sprechen, wie ihr euren Instagram-Live-Talk in ein Buch umgewandelt habt. Wie war das für euch? Wie seid ihr zu der Entscheidung gekommen, den Vortrag in ein physisches Buch zu transformieren?

Moshtari Ursprünglich war die Vortragsreihe sehr spontan. Sie fand während des Lockdowns statt, und jeder versuchte, seine Freizeit und die Medienressourcen, die wir hatten, zu nutzen. Und wie ihr vielleicht wisst, überschattete einer unserer Vorträge, bei dem es um das Nazi-Erbe deutscher Kultureinrichtungen und Produzenten ging, irgendwie die anderen Vorträge, die wir hielten. Als Wirklichkeit Books an uns herantrat mit der Idee, aus einem der Gespräche ein Buch zu machen, waren wir sehr froh, dass sie sich für dieses Gespräch entschieden haben und nicht für das andere, das bereits so im Vordergrund stand.
Ursprünglich war die Idee, das Gespräch zu transkribieren und die Dinge zu bearbeiten, die beim Aufschreiben keinen Sinn machten. Aber als wir anfingen, es in Google Docs zu bearbeiten, ging es weiter wie ein Gespräch. Ich fügte also etwas hinzu, stellte eine neue Frage, und Sinthujan antwortete und fügte noch etwas hinzu. So wuchs das Dokument über mehrere Tage hinweg, und irgendwann musste unser Redakteur uns stoppen, weil er meinte: “Jetzt wird es zu lang. Es sprengt das Budget. Diese Unterhaltung muss aufhören.” Ich würde sagen, dieses Buch ist vielleicht 50% größer, länger und komplexer als das ursprüngliche Gespräch.

Sinthujan Ich glaube, eine der interessanten Aufgaben während des Redaktionsprozesses war, dass wir eine Diskussion, die wir hatten, ein Gespräch, in schriftlicher Form fortsetzen und uns mit der Frage auseinandersetzen mussten, ob wir das Format eines Gesprächs beibehalten wollten oder ob wir uns an den Modus anpassen sollten, in dem wir veröffentlichen. Ich glaube, das ist eine der Debatten, die wir während des gesamten Prozesses des Editierens, Schreibens und Transkribierens des Buches geführt haben. Und ich denke, dass das, was dabei herausgekommen ist, diese Art von Kompromiss ist.

 

 

Beim Lesen des Buches, zumindest als wir es gelesen haben, hat man wirklich das Gefühl, dass es sich um eine spontane Diskussion handelt. Und uns hat besonders interessiert, dass ihr Anekdoten verwendet, um die Diskussion anzuregen und andere Stimmen in den Mittelpunkt zu stellen. Inwieweit war das beabsichtigt? Als Teil der Diskussion und dann auch als Teil des Prozesses der Veröffentlichung eines Buches?

Moshtari  Ich glaube, das war wirklich Absicht, denn der gesamte Ansatz, den wir während der Gesprächsreihe und speziell auch in diesem Buch über Berlin, über die hiesige Erfahrung, hatten, war eine zentrierende Erfahrung. Die subjektive Analyse oder einfach nur das subjektive Erleben bestimmter Dinge und die daraus resultierende Analyse stehen im Mittelpunkt. Ich glaube, dass wir manchmal zu schüchtern sind, Annahmen zu treffen, kritisch zu diskutieren und zu reflektieren, weil wir denken, dass wir nicht die Kompetenz dazu haben. Die Idee war, daraus etwas Offenes zu machen, eine offene Diskussion. Wir baten also unsere Follower, uns Anekdoten zu schicken und ihre Erfahrungen mitzuteilen, und darauf aufbauend haben wir die Analyse erstellt und sie mit unseren Erfahrungen mit der Stadt und der Sprachpolitik vermischt.

Sinthujan Wie Moshtari schon sagte, haben wir das Projekt als Plattform für Beobachtungen genutzt, die Menschen im Alltag machen, sich aber nicht unbedingt dazu ermutigt fühlen, daraus eine Analyse der Stadt zu machen. Und wir werden immer dazu gedrängt, so genannte Experten zu konsultieren, aber das schafft eine Barriere zwischen dem, was Expertenwissen ist, und dem, was eher als lokales Wissen gilt. Wir versuchen, diese Barrieren zu überwinden und einen etwas mutigeren Ansatz zu verfolgen, indem wir sagen, dass wir alle Zeugen und Beobachter sind und an der sozialen Realität in einer Stadt beteiligt sind. Und wir alle haben einen Anteil daran. Und deshalb haben wir auch alle das Recht, sie zu kommentieren. Und genau das haben wir versucht zu tun. Ich denke, dass viele Experten oft gezwungen oder darauf trainiert sind, in einer sehr sterilen Art und Weise zu sprechen, indem sie Zahlen und Statistiken zitieren und sich selbst entpersonalisieren, als ob sie objektive Beobachter wären und ihre Beobachtungen neutral wären. Und das haben wir von Anfang an in Frage gestellt, indem wir gesagt haben, dass wir das nicht sind, dass das nicht die Prämisse ist, nach der wir arbeiten. Und deshalb beziehen wir auch unsere persönlichen Erfahrungen und unsere persönliche Biografie und unsere Gefühle zu den Dingen mit ein.

 

 

 

 

Ich glaube, das macht es für uns besonders zugänglich, was uns sehr gut gefällt. Das Gleiche würden wir auch über das Format sagen, in das das Buch übersetzt wurde. Es ist eher ein Reader, also nichts, wovor man Angst haben müsste, es zu lesen. Es wirkt nicht einschüchternd, wenn man es in die Hand nimmt.

Sinthujan Ich glaube, es hat viel damit zu tun, dass wir auf Instagram angefangen haben, speziell in diesem Format von IG Live. Als wir damit begannen, war die große Obsession für IG Live vom Anfang der Pandemie bereits abgeklungen. Wir kamen ziemlich spät dazu, weshalb wir recht überrascht waren, dass es so gut ankam. Und ich denke, dass das Format an sich bereits die Art der Konversation, geprägt hat, weil sie auf unseren persönlichen Accounts stattfand und wir daher auch unsere persönlichen Follower mit einbezogen haben. Diese sind bereits durch das was wir posten, auf unsere Art von Erzählungen, auf die Art von Dingen, die wir teilen, sensibilisiert. In gewisser Weise wurde es viel größer, als wir erwartet oder sogar beabsichtigt hatten. Umso interessanter war es dann zu sehen, wie Außenstehende, die uns nicht kennen, die nicht wissen, wer wir sind oder was wir tun, darauf reagierten.

Moshtari Sinthujan hatte bereits all diese Stories gemacht, die wirklich analytisch und tiefgehend waren, aber es war schwierig für Außenstehende, sie außerhalb von Instagram zu referenzieren. Ich denke, dass die Umwandlung der Analyse von Instagram-Stories in einen Vortrag und der anschließende Export in eine schriftliche Konversation sie nicht nur zugänglicher macht, sondern auch beglaubigt. Es ist tatsächlich interessant, wie wir nichts anderes sagen als das, was wir auf diesen Plattformen sagen, aber weil es in einem Buch gedruckt ist, ist plötzlich jeder bereit, an diesem Gespräch teilzunehmen und es ernster zu nehmen. Es gibt also eine interessante Hierarchie zwischen Papier und digitalem Raum.

Sinthujan Ich glaube, das ist eines der Hauptprobleme, auf das ich stoße. Ich habe tatsächlich eine Menge originaler Recherchen gemacht und alles auf Instagram veröffentlicht, aber es wurde aufgrund des Formats nie ernst genommen. Und auch beim Zitieren und bei der Art und Weise, wie es reproduziert wird, gab es immer Probleme. Die Leute fragten mich, Studenten fragten mich, wie sie das zitieren sollen. Und ich weiß es nicht. Es gibt noch keine richtige Zitierpraxis, keinen Standard dafür. Und jetzt, wo wir es in einem Buch veröffentlicht haben, ist es irgendwie in ein bürgerliches, etabliertes, angeseheneres Format zurückgekehrt, und schon wird ganz anders auf uns zugegangen. Was für uns faszinierend ist, weil wir immer noch dieselben Leute sind, immer noch dieselben Dinge sagen. Aber allein durch die Art und Weise, wie die Informationen kommuniziert und verbreitet werden, verändert sich, wen sie erreichen, aber auch, wie sie rezipiert werden.

 

 

Der Prozess der Umwandlung in ein Buch hat euch also ermöglicht, den Diskurs rund um das Thema auf eine andere Art und Weise zu beeinflussen. Es ist nichts anderes als das, was ihr auf Instagram gesagt habt, aber es wirkt auf eine andere Art und Weise.

Sinthujan Ja. Eine der Fragen, die wir uns bei der Erstellung des Buches gestellt haben, war, ob wir Dinge, wie unsere Art zu sprechen oder unsere emotionalen Reaktionen, verändern oder sie sogar ganz weglassen und ein eher traditionelles Buch daraus machen. Ich glaube, wenn man die Einleitung liest und sie dann mit dem Rest des Gesprächs vergleicht, sieht man, dass es einen stilistischen Unterschied gibt. Wir waren letztendlich beide sehr bestrebt, das Original so zu belassen, wie es ist, es aber auch zu erweitern. Denn es war ein Gespräch, das wir Anfang 2021 führten, und das wollten wir in der veröffentlichten Form reflektieren. Wir wollten nicht, dass es nur eine Archivversion dessen ist, was wir in dem Gespräch bereits gesagt haben. Wir wollten, dass es ein lebendiges Gespräch bleibt, dass es weiter lebt. Deshalb hielten wir es bei der Erweiterung für wichtig, auch Aspekte einzubeziehen, die sich in der Zwischenzeit verändert hatten, Dinge, die nach dem Original-Gespräch stattfanden. Auch um zu zeigen, wie sich einige Punkte, über die wir im Jahr 2021 sprachen, durch das Gespräch sogar verändert haben.

 

 

Um noch einmal auf den Prozess des Publizierens zurückzukommen: Ihr habt beide auch Bücher im Hanser Verlag veröffentlicht – oder seid kurz davor. Man könnte vermutlich behaupten, dass dieser Verlag etablierter ist als Wirklichkeit Books. Inwieweit war dieser Indie-Aspekt attraktiv? Es wirkt auf uns so, als würde das ganz gut zu den Intentionen des Vortrags passen.

Sinthujan Ich meine, der Punkt war, wer daran interessiert war, das zu transkribieren und daraus ein Buch zu machen, richtig? Es gab keinen Mainstream-Verlag, der mit dieser Idee an uns herangetreten ist, und wir haben nicht einmal darüber nachgedacht, bevor Jonas (Anm. d. Red.: von Lenthe, Herausgeber von Wirklichkeit Books) auf uns zukam. Und dann haben wir überlegt, wollen wir das? Wir waren beide überrascht über das Interesse. Als wir mit dem Editionsprozess begannen, hatte ich gerade das sehr langwierige Lektorat meines Hauptbuches abgeschlossen. Und dann musste ich mich direkt an dieses Buch machen. Jedoch war es ein ganz anderer Prozess. Ich habe das Gefühl, dass die Zusammenarbeit mit einem kleineren, unabhängigen Verlag uns mehr Kreativität ermöglichte, dass sie weniger statisch und konservativ waren, was das Aussehen eines Buches anging, was uns viel mehr Freiheit und Flexibilität ermöglichte. Aber auch in Bezug auf die Verbreitung, denn mein Buch und dieses wurden fast zur gleichen Zeit veröffentlicht, und es war interessant zu beobachten, wie sich das auswirkte. Wie zum Beispiel die Distribution ablief. Ihr wisst es, ein unabhängiger Verlag hat ganz andere Vertriebsnetze, die viel anfälliger und persönlicher sind und in einem viel kleineren Rahmen stattfinden. Aber Wirklichkeit Books war sehr effizient darin, das Buch zu verbreiten und es ins Gespräch zu bringen. Und ich hatte den Eindruck, dass der Verlag viel, viel weniger konservativ an die Sache herangeht als die Mainstream- und traditionellen Verlage in Deutschland.

 

 

Als Buchhändler eines ebenfalls kleinen unabhängigen Ladens haben wir eine direkte Beziehung zu Wirklichkeit Books. Wenn wir ein Buch bestellen wollen, sprechen wir direkt mit ihnen, mit den Menschen des Verlags. Es gibt also keine weiteren Zwischeninstanzen, und dadurch hat man oft auch einen direkteren Bezug zu dem, was sie tun. Es gibt einem als Buchhändler das Gefühl, dass man nicht nur etwas kauft, um es zu verkaufen, sondern dass es eine Kollaboration ist, man auch Teil eines Projekts ist.

Sinthujan Hanser verschickt Pakete mit den Büchern, während Jonas mit dem Fahrrad zur Buchhandlung fährt und sie persönlich überbringt. Ich habe das Gefühl, dass, weil es ein Berliner Verlag ist, es auch viel mehr dem Anliegen des Gesprächs entspricht, das doch sehr lokal ist. Um ehrlich zu sein, wenn man an die traditionellen Mainstream-Verlage in Deutschland denkt, bei denen alles auf Marktwerten und Verkäufen basiert – wovon natürlich jeder abhängig ist -, habe ich das Gefühl, dass durch die kleineren Zahlen bei Indie-Verlagen, den kleineren Output und das kleinere Budget, die Produktion selbst viel persönlicher ist. Wir waren ständig in Kontakt mit dem Verlag. Das sind wir immer noch. Es ist eine sehr persönliche Beziehung, die ich sehr schätze. Ich glaube, es hilft uns auch, unsere Ideen direkter zu formulieren, ohne dass sie von zehn verschiedenen Leuten in irgendeiner Weise kontrolliert werden. Was Moshtari und mich betrifft, so sind unsere beiden Praktiken thematisch eher eine Nische. Wir verbinden Kunst und akademische Forschung mit eher Mainstream-Themen. Ich habe das Gefühl, dass traditionelle Mainstream-Verlage eine ganz andere Art von Publikum im Sinn haben. Bei Wirklichkeits Books stand meines Erachtens viel mehr auf dem Spiel, aber das Publikum, das man sich vorstellte, war bereits ein Nischenpublikum. Deshalb glaube ich, dass es eine viel einfachere Produktion war – auch für uns.

 

 

Ihr habt erwähnt, dass Jonas während der Bearbeitung des Buches irgendwann eingreifen und sagen musste: “Okay, wir müssen das Gespräch jetzt beenden.” Wohin hättet ihr das Gespräch entwickelt, wenn ihr noch 100 Seiten oder mehr gehabt hättet?

Moshtari Ich glaube, wir haben gemerkt, dass wir irgendwann angefangen haben zu vergleichen. Sinthujan hat ein paar Jahre in London gelebt, ich ein Jahr lang. Also haben wir angefangen, die Situationen in Berlin und London einander gegenüberzustellen. Dann wurde es wirklich vergleichend. Wir haben letztendlich diesen Vergleich herausgeschnitten, mit dem wir uns von Berlin wegbewegt haben, um andere Städte wie London zu betrachten und zu sehen, wie es dort aussieht. Denn das, was wir beschreiben, ist nicht nur spezifisch für Berlin, richtig? Wenn man sich auf globaler Ebene umschaut, sieht man oft die Art von Dynamik, die wir hier in Berlin haben, mit dieser internationalen Blase, die einfach hier angekommen ist, all diese Ressourcen hat und sich in der Stadt bewegt, als ob die Einheimischen nur ein Hintergrund, eine Kulisse wären. Ich denke, wenn wir mehr Seiten zur Verfügung gehabt hätten, wäre dieses vergleichende Element mit eingeflossen, vor allem der Vergleich mit anderen Großstädten in Europa. Aber auch die Betrachtung dieses Phänomens auf internationaler Ebene und wie diese kosmopolitischen Ereignisse bestimmte Städte verändern. Ich glaube, im Vorwort gab es auch einen Verweis auf den Elite Capture Diskurs von Olúfẹ́mi O. Táíwò und einer Freundin von Sinthujan, die vor kurzem ihre Doktorarbeit über die historische Kategorie des Expat geschrieben hat…

Sinthujan …Sarah Kunz, der Expatriate als historische Kategorie. Das hat sich während des Kolonialismus und in der Zeit danach entwickelt. Ich glaube, das ist eines der Probleme, mit denen wir konfrontiert waren, dass wir das Gespräch ein bisschen zu weit über Berlin hinaus ausgedehnt hatten. Damit dieses Buch immer noch Berlin-zentriert blieb, mussten wir uns ein wenig einschränken. Aber ich denke, eines der Dinge, die wir gerne fortsetzen würden, ist die Betrachtung aktueller Entwicklungen, denn wir sind Zeugen einer fortlaufenden Entwicklung, außerdem wollen wir uns verstärkt mit Nischengruppen beschäftigen. Zum Beispiel queere Communities, die mit ähnlichen Gegebenheiten und Problemen konfrontiert sind. Ich glaube, irgendwann mussten wir es einfach abschließen, damit es noch verdaulich blieb und nicht zu umfangreich wurde.

Moshtari Außerdem berühren wir so viele verschiedene und sehr komplexe Themen, und ich denke, das Buch ist deshalb so leicht zu lesen, weil es versucht, in viele Fragestellungen einzuführen, aber nicht zu sehr in die Tiefe zu gehen. Wenn wir eingeladen werden, über das Buch zu sprechen, experimentieren wir damit, nicht über das Buch zu sprechen, sondern ein bestimmtes Thema zu wählen, wie z. B. die Ausländerbehörde, und dann ein wenig tiefer auf dieses Element einzugehen und das Gespräch zu erweitern. Dann kommen wir nicht in die Situation, vielleicht genau dasselbe Gespräch zu führen wie im Buch, sondern haben stattdessen all diese möglichen Richtungen, die wir im Gespräch einschlagen können.

 

 

 

Ihr habt gerade darüber gesprochen, wie wichtig es war, den Rahmen des Buches lokal zu halten, Teil der Kritik richtete sich auch an kulturelle Institutionen wie Galerien und Buchhandlungen, einschließlich do you read me?!s, hinsichtlich der Sprache, die für die Kommunikation verwendet wird. Wir fragen uns auch, ob Englisch die richtige Wahl ist. Ist es legitim, dass wir als Buchhandlung in Berlin, in Deutschland, nur die englische Sprache zur Kommunikation verwenden? Die Idee von DYRM war ursprünglich, internationale Publikationen nach Berlin zu bringen, um das Gespräch und Perspektiven zu öffnen. Am Anfang haben wir hauptsächlich auf Deutsch kommuniziert, dann war es Deutsch und Englisch. Und irgendwann haben wir uns gesagt, naja, aus pragmatischer, wirtschaftlicher Sicht ist es einfach einfacher – was wahrscheinlich eine schlechte Ausrede ist – nur Englisch zu sprechen, vor allem Online. In beiden Sprachen zu kommunizieren, also alles doppelt zu schreiben, alles zu übersetzen, ist ein enormer Aufwand an Arbeit und Zeit. Die Frage ist, ob man das Problem lösen kann, indem man wieder zu Deutsch wechselt oder zweisprachig kommuniziert.

Moshtari  Wenn wir in der Kunstszene arbeiten, stehen wir oft vor einem ähnlichen Problem. Die Konversation findet auf englisch statt, weil so viele Begriffe auf englisch sind, und sobald man eine internationale Person in der Zuschauermenge hat, wechselt man sofort ins Englische. Es ist also in gewisser Weise einfach effizienter. Und wir haben festgestellt, dass es besonders in Hochschulkursen, wenn man nur auf englisch spricht, sehr schwierig ist, das, worüber man eigentlich spricht, ins Deutsche zu übersetzen. Man hat nicht einmal die richtigen Worte dafür. Man ist also nicht nur in der Übersetzung verloren, sondern wenn man die Gespräche nicht in Deutschland und auf Deutsch führt, berücksichtigt man auch nicht den lokalen Kontext. Wenn man kein deutsches Wort dafür hat, haben die Menschen in Deutschland es nicht wirklich im Kopf. Ich denke also, dass die Frage der Übersetzung nicht nur eine pragmatische Entscheidung ist, sondern auch eine epistemische und intellektuelle. Wenn wir uns nicht in diesen Sprachen unterhalten, denken wir nicht wirklich über diese Realitäten und Kontexte nach. Es gibt einen Erkenntnisverlust, wenn wir nicht in der Lage sind, aus dem Englischen in unsere eigenen Sprachen zu übersetzen, welche Sprache das auch immer sein mag, und wir verlieren auch viele Menschen, die in fortschrittliche Gespräche einbezogen werden könnten, wenn wir sie nur auf englisch führen. Ich denke aber auch, dass es verschiedene Verantwortlichkeiten gibt, wenn es um Übersetzungen geht. Natürlich hat etwas, das mit Steuergeldern finanziert wird, eine andere Verantwortung gegenüber dem lokalen Umfeld als private Unternehmen.

Englisch ist oft inklusiv und eine kluge Entscheidung. Aber hören wir für einen Augenblick auf, über eine pragmatische Entscheidung hinaus zu denken, denn das, was wir sagen, bedeutet nicht, dass es keinen Sinn macht, sondern dass es faul ist. Es ist eine pragmatische, faule Entscheidung. Warum ist es für alle so einfach, ins Englische zu wechseln, sich dem Englischen anzupassen und der englischen Sprache gegenüber so aufgeschlossen zu sein? Aber wir versuchen nicht, die gleiche Flexibilität mit anderen Sprachen zu haben. Manchmal sieht man, dass bestimmte andere Sprachen, die mit einer profitablen Wirtschaft verbunden sind, berücksichtigt werden. Arabische Touristen, chinesische Touristen. Aber das ist eine wirtschaftliche Entscheidung. Es geht nicht um das Erschaffen einer Gemeinschaft, sondern nur darum, zu verkaufen und effizient zu sein.

Ich denke, wenn sich die Praxis ändern würde, hätten wir letztlich auch andere Beziehungen. In der Kunst zum Beispiel gibt es nie genug Geld für eine zusätzliche Sprache. Oft gibt es kein Budget für beispielsweise eine Übersetzung auf Türkisch oder Farsi. Und selbst wenn die Ausstellung auf die Interessen dieser Gemeinschaft ausgerichtet ist, gibt es oft nicht einmal Geld dafür. Ich denke, wenn dieses Problem thematisiert wird, könnte das auch strukturelle und finanzielle Probleme lösen.

Sinthujan Ich glaube, es ist ein echtes Problem, dass so viele verschiedene kulturelle Werke und Bereiche der Kulturproduktion, einschließlich der akademischen Welt, in der viel publiziert wird, gezwungen sind, in englischer Sprache zu sein. Und dass etwas, sofern es nicht auf Englisch gemacht wird, nicht anerkannt wird. Es wird nicht die globale Reichweite und Relevanz haben. Ich verstehe, dass es ein wirtschaftlicher Nachteil ist, wenn man so viele Ressourcen in Übersetzungen und in Zweisprachigkeit stecken muss. Aber ich denke, letzten Endes müssen die Unternehmen auch die Tatsache berücksichtigen, dass die meisten Menschen sich nicht unbedingt in der Sprache wohl fühlen, selbst wenn sie ein gewisses Maß an Englisch sprechen. Sie verfügen nicht zwangsläufig über das Vokabular für bestimmte Themen.

Das sieht man nicht nur in Buchläden, sondern in Berlin insbesondere auch in vielen Restaurants und Cafés. Ich habe das Gefühl, dass es in Berlin und speziell in Mitte eine Szene gibt, in der sich das Englische geradezu als selbstverständlich etabliert hat. Es ist sozusagen die Sprache von Mitte. Und es scheint, als ob viele Einrichtungen – ob Buchläden, Kunstgalerien oder Restaurants und Cafés – alle in dieselbe Falle tappen. Ich bin sicher, solange man es nicht zu einem Problem macht, werden die Leute es nicht als Problem betrachten. Wie Moshtari schon sagte, basiert alles auf wirtschaftlichen Erwägungen, also darauf, wer Geld einbringt. In der Regel werden diese Anpassungen und Veränderungen nur dann vorgenommen, wenn ein wirtschaftliches Kalkül dahinter steckt, so wie die Zweisprachigkeit von den Deutschen nach Jahrzehnten plötzlich geschätzt wurde, weil sie auf einmal erkannten, dass Deutschland international sein muss, wirtschaftlich international, und dass deshalb Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, einbezogen werden müssen, um in der Türkei oder in China oder in Saudi-Arabien Geschäfte zu machen.

 

 

Dann gibt es das Problem, dass alles “Internationale” automatisch englisch ist. Es ist ja nicht so, dass wir uns in unserem Laden auf die englische Sprache konzentrieren wollen. In Publikationen wie Flaneur, zum Beispiel – ein Magazin aus Berlin – gehen sie in andere Städte, um sie zu ergründen. Aber sie müssen dazu auf die englische Sprache zurückgreifen, um eine internationale Diskussion führen zu können. Ihr hattet auch gesagt, dass der Diskurs in der Kunst meist auf Englisch geführt wird…

Moshtari Ich denke, dass Englisch letztendlich die pragmatische Wahl ist, wenn man international sein will, weil es einfach so viel mehr Menschen einschließt. Auch denken die Leute manchmal, international zu sein, sei super fortschrittlich. Aber in einem lokalen Kontext ist Englisch auch eine Klassenfrage. In Deutschland sprechen die meisten Menschen Deutsch. Auch Menschen, die in Deutschland aufgewachsen sind und gezwungen waren, sich in die Sprache zu integrieren, verstehen komplexe Themen und Diskussionen auf Deutsch, aber nicht immer auf Englisch. Wenn wir also ins Englische wechseln, laden wir automatisch zahlreiche Menschen aus. Als wir den Vortrag über die Ausländerbehörde hielten, fragten viele Leute: Warum habt ihr das nicht auf Englisch gemacht? Möglicherweise hätten sich auch Ausländer dafür interessiert. Aber ich glaube, weil wir es auf Deutsch gemacht haben, kamen so viele Leute, die keine Ausländer waren, sondern Kinder von Flüchtlingen, die gezwungen waren, Deutsch zu lernen, und die dieses Gespräch aus einem anderen Blickwinkel heraus verstanden. Wenn man die Sprache wechselt und vielleicht auch mehr Sprachen zur Verfügung stellt, dann wird dadurch auch das Publikum kuratiert. Es ist also nicht nur eine pragmatische Entscheidung, sondern tatsächlich eine, die die Wahrnehmung, die Aufnahme verändern wird. Sogar den Inhalt, denke ich.

Sinthujan Ich habe das Gefühl, dass Deutsch in Berlin, in einigen Gegenden Berlins, als provinziell angesehen wird. Deshalb entprovinzialisieren sich viele Institutionen, indem sie ins Englische wechseln und sich so global relevanter machen, während sie lokal irrelevant sind. Ich halte das für einen Ausweg, aber es ist eine Abkürzung, die viele Institutionen nutzen, um so zu tun, als ob sie fortschrittliche und lokal und kommunal relevante Diskussionen führen würden. Während sie in Wirklichkeit die Mehrheit der Menschen, die hier leben, ausschließen, aktiv ausschließen. Auch der Staat und die Stadt sind daran interessiert, global relevant zu sein. Deshalb wird Englisch im Auswärtigen Amt und an anderen Stellen viel mehr angeboten als früher. Während andere Sprachen völlig ausgeklammert bleiben.

Moshtari Das Argument, das wir vorbringen, ist, dass Englisch keine Abkürzung für Inklusivität ist. Das ist einfach nicht wahr. Wir sollten uns einfach von dieser Idee verabschieden und verstehen, dass Englisch eine Sprache des Profits ist. Es mag pragmatisch sein, aber es ist die Sprache des Profits, und wir kuratieren sofort die Menschen, zu denen wir Zugang haben, sobald wir nur Englisch sprechen. Oder in dem Moment, in dem wir nur Deutsch sprechen. Das ist keine Inklusivität.

Sinthujan Was wir in diesem Buch versucht haben, war, eine sehr lokale Diskussion in der jeweiligen lokalen Sprache zu führen, sie kritisch und relevant zu halten und die Leute zu drängen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, selbst wenn es nicht den Anspruch erhebt, unbedingt für alle Orte relevant zu sein. Die kuratorische Entscheidung, (im Buch) auch Englisch einzubeziehen, war eine sehr praktische, weil wir dachten, dass es wichtig und entscheidend ist, dass Menschen, die sich in diesem Umfeld engagieren und daran teilnehmen, die nicht Deutsch sprechen, sich auch an dieser Diskussion beteiligen können. Natürlich hätten wir, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, gerne auch andere Sprachen in die Übersetzung aufgenommen. Aber das ist eine Frage des Budgets. Und dann ist es eine Frage der Praktikabilität. Als wir sagten, dass wir die Gespräche über andere Städte einschränken mussten, war das wahrscheinlich unsere Tendenz, unsere eigenen Gespräche zu entprovinzialisieren. Aber ich denke, es ist dennoch wichtig, diese scheinbar isolierten Diskussionen zu führen und dabei sehr lokale Bezüge zu verwenden, denn was lokal relevant ist, ist auch global relevant.

 

 

Seht ihr hier in Berlin irgendeine Bewegung in eine inklusivere Richtung, sprachlich gesehen?

SinthujanIch glaube, dass der vorherrschende Trend immer noch Englisch ist. Und die Kritik, die wir üben, wird vielleicht von vielen Leuten gehört und von vielen Leuten gelesen. Aber ich denke, es braucht viel mehr Unterstützung in der Bevölkerung und viel mehr kollektive Organisation sowie verschiedene Strategien zur Umsetzung einer integrativeren Sprachpolitik. Und davon sehe ich nicht genug. Ich denke, wir haben mit dieser Kritik, die jetzt praktisch in einem Buch zusammengefasst ist, das man mitnehmen, mit anderen teilen, lesen und darüber nachdenken kann, einen Anstoß gegeben. Aber die Umsetzung ist etwas, das wir noch sehen müssen, insbesondere in den elitären Kunst- und Kulturräumen.

Moshtari Es gibt keine einheitliche Lösung für ganz Berlin. Aber manche Spaces und Institutionen, könnten sich auf die lokale Demografie einstellen, je nachdem, wer dort lebt, man muss sich nur in der Gegend umschauen… Es gibt nicht die eine Lösung für alle, denke ich, aber ein Ansatz könnte darin bestehen, mehr Nuancen zu schaffen und sich wirklich mit den Menschen, die hier leben, zu beschäftigen.

 

 

Sinthujan und Moshtari, vielen Dank für das Gespräch!

 

 

 

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